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FC Switzerland als politische Marke – und ein paar Tipps an Ignazio Cassis

Ein Ausländer, der dem Aussenminister Tipps gibt, wie er mit dem Ausland kommunizieren soll? Das kann leicht übergriffig wirken. Aber erstens ist dieser Ausländer bald ein stolzer Inländer. Und zweitens hat er eine Kernkompetenz, die relevant sein könnte: eine Marketing-Kernkompetenz.

Jetzt kann man sich natürlich fragen: Braucht der Schweizer Aussenminister wirklich Marketingkompetenzen? Gegenfrage: Was denn sonst? Denn Aussenministerinnen und Chefdiplomaten verwalten keine Finanzen, machen nichts mit Wirtschaft, von Recht haben Sie kaum Ahnung und bei «Rüstung» denken sie wahrscheinlich an ihre gepanzerten Limousinen. Doch Aussendarstellung, das können sie. Sollten sie zumindest. Und Aussendarstellung ist nun mal Marketing. Darum:

These 1:
Aussenminister sind Aussendarsteller und Botschafter sind Markenbotschafter

Falls Sie einverstanden sind, lassen wir diese popcornige Setzung mal so stehen. Dann folgt daraus, dass die Schweiz einen klar umrissenen Markenkern hat bzw. haben müsste. Was diesen Markenkern ausmacht?

 

These 2:
Die direkteste Demokratie der Welt – der Markenkern der Schweiz

Die Schweiz hat, was viele Marken gerne hätten: ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Dieser USP sind nicht ihre Berge, Seen und schmelzenden Leckereien (das sind nur Markenattribute), sondern ist das, was Nationen nun mal ausmacht: ihr gesellschaftliches System – nämlich die direkteste Demokratie der Welt.

 

These 3:
Die Schweiz ist allein (judihui)

Die gute Nachricht ist also: Die «direkteste Demokratie der Welt» ist das Alleinstellungs-merkmal der Schweiz. Und die vermeintlich schlechte Nachricht: Wer ein Alleinstellungs-merkmal hat, steht im Politmarketingwettkampf allein da. Für manche Schweizer scheint diese Solitüde erschreckend zu sein. Aber für Markenprofis ist das eine frohe Botschaft! Denn ein Land mit einem echten USP – da schallen die Schalmeien, da jubeln die Fanfaren.

 

These 4:
Direkte Demokratie und indirekte Kommunikation

Doch schmetternde Fanfaren ertönen in der Schweiz leider selten. Und obwohl die Demokratie ziemlich direkt ist – die hiesige Kommunikation ist es bedauerlicherweise nicht. Das ist schade und in der europapolitischen Debatte sogar schädlich.

These 5:
Die Schweizer verstehen die Schweiz nicht (wirklich)

Warum die direkte Demokratie nur indirekt kommuniziert wird? Ich habe den Eindruck (exgüse und sorry schon mal): Den Schweizerinnen und Schweizern ist nicht bewusst, wie wertvoll das Wertvollste ihres Landes ist. Wie anders. Wie fortschrittlich. Wie wegweisend. Wie revolutionär.

 

These 6:
Der Aussenminister soll dem Ausland das Aussergewöhnliche der Schweiz kommunizieren – mit einem Satz

The Suisse-Way ist revolutionär. Punkt. Und die aktive Partizipation an der Macht und an der Gestaltung komplexer Organisationen, wie es Nationen nun mal sind – das ist sehr fortschrittlich und wegweisend. Ausrufzeichen! Allerdings sollten wir diesen Ansatz auf eine klare Markenessenz verkürzen. Zum Beispiel so: 

Die Schweiz ist das führende demokratische Powerhouse weltweit.

Oder, noch griffiger als Marken-Claim:

FC Switzerland. Free citizens. Free country.

Dieser Claim kann hervorragend zu einer modernen Wort-Bild-Marke verkürzt werden: «FC Switzerland». Und «FC Switzerland» – das wäre ein direktdemokratischer Club mit grossem Marketingpotenzial: mit den Bürgern als Club-Ownern. Mit dem Bundesrat als eingespieltem Powerteam (aus aktuellem Anlass mit 11 statt 7 Playern). Mit Fanschal, Fanhymnen, Fanevents, Fanchoreografien und Fanmärschen.

These 7:
Nicht nur brüllen, sondern auch argumentieren

Zugegeben: Ignazio Cassis einfach einen FC-Switzerland-Schal um den Hals zu hängen, reicht nicht. Da braucht’s schon etwas mehr intellektuelle Armierung und gute Argumente. Diese Argumente gibt es, und es wäre ein Leichtes, mit folgenden Aussagen die Europäer zu überzeugen (aber bitte in Fanfarenlautstärke):

 

  • Argument 1: Die Schweizer – We Walk Your Talk

    Ihr redet von Inklusion, Partizipation, Ownership, Agency und Empowerment? Super! Doch dann sorgt dafür, dass aus eurem «Talk» endlich ein «Walk» wird. Wie das geht, zeigen euch z. B. unsere Abstimmungen, Referenden und Initiativen.

 

  • Argument 2: Die Schweiz – das Hallo-Wach-Mittel gegen Politikmüdigkeit

    Ihr redet von Politikmüdigkeit, Demokratieverdrossenheit und Repräsentationskrise? Wir nicht. Denn wir brauchen uns nicht repräsentieren zu lassen, um unsere eigenen Interessen zu manifestieren. Schliesslich sind wir erwachsen, und die Wahl von Stellvertretern – das kommt uns etwas infantil und debil vor. Darum sagen wir nicht nur «sapere aude» (Immanuel Kant), sondern auch «aude agere» (Immanuel Baron). Ein kleiner, aber entscheidender Unterschied.

  •  Argument 3: Psst… nur für Schweizer Ohren

Hier noch ein nach innen gerichtetes Argument: Die Schweiz ist nicht nur «Ein Volk von einig Brüdern und Schwestern», sondern auch eine «Eidgenossenschaft». Mein Vorschlag wäre nun, dass wir «Genossenschaft» behalten, aber im Zuge des Brand-Refreshments eine kleine Änderung vornehmen: Aus der Genossenschaft der «Eidenden», wird eine Genossenschaft der «Eingebundenen». Ich finde das sehr modern, dieses Eingebunden-Sein – und sehr überzeugend für den FC Switzerland.

 

Zu guter Letzt: Free citizens und ein paar freigeistige Ideen

Eine Marke muss man nicht nur kommunizieren, sondern vor allem erlebbar machen – am besten mit konkreten Taten. Das gilt auch für die Marke Schweiz. Darum hier ein paar Vorschläge, die alle auf den geschärften Markenkern der Schweiz einzahlen: auf eine Schweiz, die das weltweite Powerhouse der Demokratie ist und auf die Eingebundenheit seiner Bürgerinnen und Bürger setzt.

 

  • Geschäftsbericht der CH AG: Was Unternehmen tun, macht jetzt auch die Schweiz: Sie versendet jährlich einen Geschäftsbericht an alle Einwohner. Damit wir wissen, was mit unseren Geldern passiert. Und für mehr inklusive Transparenz.

  • 10 % frei einsetzbare Steuermittel: Steuern muss man zahlen, klar. Aber 10 % der Steuern können die Bürger jetzt frei wählbaren Aufgabenfeldern zuweisen – für mehr Bildung, mehr Kultur, mehr Militär oder mehr beheizbare Gehwege. Und für mehr Ownership und eine echte Agency.

  • Start-up-Beteiligung: Die neue Schweiz unterstützt nicht nur die freie Willensbekundung, sondern auch das freie Unternehmertum – egal, ob jemand eine Bäckerei oder eine Bank eröffnet. Dafür stellt sie Mikrokredite zur Verfügung. Aber nicht als Spende, sondern als Investment, dessen Rendite an die Gesellschaft zurückfliesst. Für eine Partizipation, die sich auch im Portemonnaie auszahlt.

  • Jugendrente: Statt die Altersrenten zu erhöhen, wird eine Jugendrente lanciert. Dafür werden 2’000 Franken für jedes Kind angelegt, die nach 20 Jahren zu einer Kapitalrendite von ca. 10'000 Franken führen. Dieses Kapital kommt anschliessend den jungen Erwachsenen zugute. Für mehr Generationsgerechtigkeit. Und für eine Gesellschaft, die in die Zukunft investiert, anstatt die Vergangenheit zu alimentieren.

  • Bildungsgutscheine: Lebenslanges Lernen wird immer wichtiger, und die Durchlässigkeit des Schweizer Bildungssystems ist ein Erfolgsfaktor. Darum: Jeder Einwohner bekommt Bildungsgutscheine – für projektbasiertes Lernen und ganz egal, ob es nun Urban Farming, die Altersvorsorge oder den richtigen Umgang mit Excel-Tabellen betrifft.

Zum Schluss noch eine Idee, die ich sehr charmant und swiss-like finde. Die Idee ist übrigens von Peter Haberstich, die ich hier einfach eins zu eins zitiere:

Ideen und Bild: Peter Haberstich

Imagine: Es ist Hashtag#ESC in der Schweiz und halb Europa kommt mit dem Zug, mit dem Bus oder dem Velo. Es ist ÖV-ESC, weil die Schweiz das so wollte und es mit Anreizen gefördert hat: mit Extrafahrten und Kombi-Tickets etc. Es wäre ein starkes Zeichen an Europa und die Welt aus dem Land mit einem der besten ÖV-Netze. Oder?

Fazit: Egal, ob man nun von der «Demokratie als Lebensform» (John Dewey) oder über die «deliberative Demokratie» redet (Jürgen Habermas) – die Schweiz hat in diesem Diskurs sehr viel zu bieten. Aber dafür müsste sie sich lautstark an diesem Diskurs beteiligen. Das wäre gut fürs Eigenmarketing. Und das wäre gut für die Welt! Denn die Schweiz ist der Proof of Concept, dass es auch anders geht. Besser. Demokratischer. Partizipativer.