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Warum es Unverschämtheit braucht – und diesen Newsletter.

Dass Sie diesen Newsletter brauchen, dass diese paar Zeilen Ihr Leben bereichern oder essentielle Bedürfnisse befriedigen – nun, diese Aussage könnte man als mutige Setzung begreifen. Oder als Unverschämtheit, besonders in Zeiten von Doppel-Opt-In und DSGVO. Doch was wäre, wenn genau das heute notwendig ist: mehr Unverschämtheit, nämlich?

Machen wir uns nichts vor: Wir leben in unverschämten Zeiten. Das mag man in vielen Bereichen bedauern – bei den Umgangsformen, in der Politik, bei den Hass-Kommentaren im Netz. Doch in anderen Bereichen scheint die neue Schamlosigkeit das zu sein, was heute geradezu gefordert wird. Denn wenn grosse Köpfe in Wirtschaft und Gesellschaft nach mehr Innovation, Disruption und kreativer Zerstörung rufen, dann rufen sie auch und vor allem: «Seid unverschämt!».

 Unverschämtheit – das ist die unabdingbare Voraussetzung für alles Neue. Denn wer Neues denken, äussern und umsetzen möchte, der braucht schon eine gewisse Schamlosigkeit. Weil er Konventionen hinterfragt, Regeln torpediert und gelernte Normen herausfordert. Und dieser Widerstand gegen den «Das-haben-wir-aber-immer-schon-so-gemacht»-Duktus – das war, ist und bleibt eine Unverschämtheit. 

Wo Scham herrscht, wird es keine Innovation geben.

Im Umkehrschluss heisst das aber auch: Wo Scham herrscht, wird es keine Innovation geben. Und wo Systemgehorsamkeit dominiert und kreative Selbstoffenbarung ein Tabu ist, da wird kaum Neues entstehen. So ist der eigentliche Wettbewerbsvorteil von Start-Ups auch nicht, dass sie Ideen haben (die hat jeder, irgendwann). Sondern dass sie über eine Kultur verfügen, die Ideen fördert und zulässt. Dieses Zulassen ist der springende Punkt. Denn der Offenheit von visionsgetriebenen (Jung-)Unternehmen steht fast schon diametral die Geschlossenheit von formalen Organisationen gegenüber, bei denen eine hohe Selbstreferentialität und Autopoiesis dominiert. Das Tragische dabei (und Niklas Luhmann sowie die Systemtheorie haben viel darüber nachgedacht): Selbstreferentialität ist der Todesstoss für Kreativität. Und selbstreferentielle Organisationen bestrafen jeden, der sich nicht an den vorgegebenen Referenzrahmen hält – external mit Ausschluss und Marginalisierung und internal, eben: mit Scham. Dass das Spiel mit Marginalisierung und Scham bestens funktioniert, haben übrigens Kirchen, Schulen, die Mafia und geschlossene Organisationen jahrhundertelang eindrücklich bewiesen. 

Unverschämte Manager 

Das Interessante dabei ist allerdings: Manager würden sich wohl kaum als schamvolle Wesen bezeichnen – dagegen spricht schon ein gewisses Alphatier-Gebaren und ihre vermeintlich unverschämt hohen Löhne. Und dennoch: Schaut man sich die handelsübliche Manager-Kaste an, so entsteht schnell der Eindruck, dass gerade diese Gilde in ein enges Korsett von sozialen Erwartungen eingebunden ist (was visuell schon der uniforme Manager-Dresscode belegt). Diese Erwartungen basieren vor allem auf einem Selbstkonzept, das man unter dem Begriff des «Performers» subsumieren kann. Doch der Wunsch nach Kreativität und der Zwang zur Performance – das beisst sich, und zwar gehörig. 

Innovative Manager – eigentlich ein Widerspruch

Denn wer kreativ zerstört, der ist zumindest im Zerstörungsmoment ein Anti-Performer. Und wer disruptiert – ein Wort, das vom lateinischen disprumpere stammt (zerreissen, zerbrechen, zerschlagen) – der macht etwas, das eigentlich dem Jobprofil eines jeden Managers widerspricht. Denn die Aufgabe von Managern in Unternehmen ist die Planung, Organisation, Führung und Kontrolle. Ordnung im System soll der Manager herstellen. Und eben nicht kreatives Chaos. 

Daher ist die Aufforderung an Manager, innovativ und kreativ zu sein, eine systemische Unverschämtheit. Diese Unverschämtheit gilt es, erstens: mal festzuhalten Und zweites: aktiv zu nutzen. Denn wenn eine Störung für ein System gesucht wird – mittels Kreativität, mittels divergentem Denken – dann muss eine Störung im System gesucht werden. 

“Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.”
Albert Einstein

Eine Störung im Management-System zu erzeugen, ist ziemlich einfach: Machen Sie das, was Manager nicht machen! Sich Zeit nehmen, zum Beispiel. Oder der kontemplativen Muse frönen. Sich umschauen – in der Welt, bei Ihren Kunden, in Ihrer Familie. Oder lange Newsletterbeiträge lesen, die weder konkrete Learnings noch dezidierte Handlungsanleitungen vermitteln. 

 Die Unverschämtheit des Managers beginnt dort, wo die Quick-Wins aufhören.

Denn die Unverschämtheit des Managers beginnt dort, wo das Quick-Win-Denken, die Performance-Ängste und Deliverable-Zwänge aufhören. Und die Unverschämtheit der kreativen Innovation beginnt da, wo Entscheider wieder das tun, wofür sie eigentlich bezahlt werden: Wenn sie denken! Wenn sie eigenständig, wenn sie gründlich fundiert, neugierig, offen, wild und kreativ denken. Denn wer tiefer denkt, kommt weiter. So einfach ist das. 

Tiefer denken, um weiter zu kommen – das versucht auch dieser Blog und Newsletter. Ob das gelingt, nun, das wird sich zeigen. Doch einen Versuch ist es allemal wert. Darum: Viel Spass mit den Blogbeiträgen, die nun ab und zu in Ihrer Inbox auftauchen werden – ganz unverschämt und unter wissentlicher Verachtung von DSGVO und Konventionen natürlich.

Nachwort: Wer sich intensiver mit dem Thema Kreativität und Management befassen möchte, dem sei dieses Interview mit Peter Kurse wärmstens empfohlen.

Ausschnitt aus einem Interview mit Prof Peter Kruse (Next Practice, Bremen) über Kreativität - wie man sie killt und wie man sie kitzelt. Hier das komplette TRANSCRIPT: https://gist.github.com/wolfhesse/c935bba4ae25667f51e7