Immobilien-Marketing: Bauhaus reinvented
Die einen sagten «spannend», während andere nur den Kopf schüttelten. So ist es zumindest Sebastian Pils und mir ergangen, als wir «Bauhaus reinvented» Immobilien-Entwicklern vorgestellt haben. Für uns heisst das: Unser Ansatz ist zumindest originell. Und wir haben anscheinend einen wunden Punkt in der Baubranche getroffen. Welchen genau – das verraten die folgenden Zeilen.
Zimmerli, Calida, Schiesser – würde man Menschen nach ihrer Unterhosenmarke fragen, man bekäme eine Antwort. Das gleiche gilt für ihre Rasierklingen, Morgendüfte und die Müslimischung im heimischen Küchenschrank. Nur bei einem Bereich würden die Befragten seltsam stumm bleiben: beim Wohnen. Das ist erstaunlich. Und sogar schlimm. Denn gerade in der Architektur bräuchte es heute Marken, die wirklich markieren. Starke Nachhaltigkeitsmarken, um genau zu sein.
Gebäude als No-Name-Produkte
Häuser und Gebäude sind heute No-Name-Produkte und austauschbare Commodities. Dabei sollten Unterkünfte – die Orte, an denen wir leben, lieben, essen, streiten, weinen, lachen, schlafen – eigentlich voller Bedeutung sein. Sind sie aber nicht. Denn jeder weiss zwar, wo er wohnt – in welcher Strasse und in welchem Viertel. In was er wohnt, das weiss jedoch fast niemand, und die eigenen vier Wände werden als nüchterne Aufzählung einzelner Features dargestellt.
Meine Behausung? Das ist eine Vier-Zimmer-Wohnung mit Balkon und Fussbodenheizung. So prosaisch kann man natürlich jeden Gegenstand beschreiben. Mein Smartphone: «Ein Taschencomputer mit Internetanbindung und Kopfhöreranschluss.» Mein Auto: «Ein Motorfahrzeug mit Klimaanlage und kurvenadaptivem Abblendlicht». So redet aber keiner über sein iPhone und kaum ein Maserati-Fahrer würde sein Gefährt auf den reinen Produktnutzen reduzieren. Beim Wohnen passiert allerdings genau dies. Dies ist erstaunlich. Und das hat seine Gründe.
Mit Symbolen den Systemwechsel antreiben – Beispiel Tesla
Der erste Grund: Marken sind standardisierte Narrative, die neben dem funktionalen Nutzen einen symbolischen Nutzen bieten. Dieser symbolische Nutzen ist es, mit dem sich Käufer identifizieren und der die Fähigkeit hat, Konsumenten zu transformieren. Darum ist der Toyota-Fahrer jemand anderes als der Tesla-Fahrer – weil beide Fahrzeuge andere Narrative verkörpern, die andere Identitätskonzepte zum Ausdruck bringen. Dass das so ist, wissen die Autobauer bestens. Nur die Häuserbauer, die wissen das anscheinend nicht.
Womit wir beim zweiten Grund für die fehlende Markenbildung wären: Narrative sind systemisch, skalierbar und vor allem sinnstiftend. Diese systemische Arbeit an sinnstiftenden und skalierbaren Narrativen ist im Bauwesen aber nicht erkennbar. Was allerdings erkennbar ist: ein Selbstverständnis der Häuserproduzenten, die sich als solitäre Originalgenies verstehen und für individuelle Aufgaben singuläre Lösungen entwerfen. Die Konsequenz: Anstatt grosse Geschichten zu erzählen, präsentiert die Architektur kleine Geschichtchen – für jedes Haus eine neue Shortstory, für jede Siedlung ein bisschen Bonsai-Prosa. Doch so wenig einzelne Bäume zusammenhängende Wälder sind, so wenig sind kleine Geschichtchen handlungsleitende Narrative.
Aufbau von Narrativen – die grösste Gabe der Architektur
Das Spannende dabei: Über Jahrtausende hinweg war die Architektur gerade das – eine Agentin des Narrativaufbaus und der Materialisation von Metaphysischem. So sind griechische Tempel nicht entstanden, weil irgendein Bauherr plötzlich auf dorische Säulen stand, sondern weil die Griechen ein neues Bild von sich und den Göttern hatten. Gleiches gilt für die Gotik, die barocke Palastarchitektur, das Paris von Haussmann und die Wolkenkratzer von Chicago: Erst kam die Vision. Und erst dann kamen die Steine.
Man kann also festhalten: Früher hatte die Architektur Standpunkte, während sie heute nur noch Standorte hat. Allerdings muss man auch festhalten: In der Standpunktlosigkeit der Architektur spiegelt sich die Standpunktlosigkeit von uns allen wider. Aber das ändert sich gerade: dank der Generation Greta. Und dank junger Architektinnen und Architekten, die nicht mehr dem «Ich» einer überkommenen Genieästhetik huldigen, sondern auf ein «Wir» setzen, das in grösseren Kontexten denkt.
Standpunkte statt Standorte
Sich positionieren, eine Haltung einnehmen und diese Haltung professionalisieren – das ist das, was echte Marken machen. Und an diesem systemischen Narrativaufbau wird auch die Baubranche nicht vorbeikommen. Wie solche sinnhaften Grossgeschichten etabliert werden können, hat die Architektur übrigens in schönster Regelmässigkeit gezeigt: Man einigt sich auf ein verbindendes Narrativ, man entwickelt eine gemeinsame Typologie und man skalierte die bewährten Best-Practice-Lösungen, immer wieder und wieder. Zu welchen Resultaten das führte, zeigt zum Beispiel die Gotik: Spitzbogige Gewölbe, filigrane Fenster und aufgelöste Wände stehen nicht nur in Saint Denis, sondern auch in Paris, Reims, Chartres, Amiens, Strassburg, Tours und an tausend anderen Orten.
Diese Wiederholung von Bewährtem wäre auch heute möglich: Dann stünde das Gartenhochhaus AGLAYA nicht nur in Rotkreuz-Risch, sondern auch in Rom, Ravensburg, Rotterdam, Riga, Riad und Rio. Dieses Eingeständnis, dass sich Narrative nicht nur materialisieren, sondern auch skalieren lassen, wäre ein disruptiver Systemwechsel, der genau das erzeugen würde, was es heute braucht: eine grosse gesellschaftliche Druck- und Sogwirkung. So wie bei Tesla. Und so wie bei einem neuen Bauhaus 2.0.
Zusammenbringen, was zusammengehört – Bauhaus reinvented
Eine Vision definieren und für systemische Herausforderungen systemische Lösungen erarbeiten: So war das Bauhaus damals und so könnte ein neues Bauhaus wieder sein. Der erste Vorteil: «Form follows function» wäre auch diesmal die Devise, wobei die «function» dieser Tage nur eines bedeuten kann: ein möglichst nachhaltiges und ressourceneffizientes Bauen.
Und der zweite Vorteil: Das wären klar positionierte Immobilienunternehmen, denen die Investoren – die Nachhaltigkeitsfonds, die Pensionskassen, die ESG-Anleger – schon bald die Bauhütte einrennen würden. Und es wäre eine starke Architekturmarke, die endlich das tut, was Marken eben tun: deutlich markieren nämlich!
Nachtrag 1:
Warum nachhaltiges Bauen so wichtig ist
Bauen und Wohnen sind für 36 Prozent des CO2-Austosses verantwortlich. Damit überflügelt der Immobiliensektor mit Abstand alle anderen Bereiche, über die in der Öffentlichkeit breit diskutiert wird – den Flugverkehr (2 %), den Fleischkonsum (3 %), den Individualverkehr (18 %).
Nachtrag 2:
Standardisierung mit Niveau - Beispiel Vitra
Standarisiertes Bauen? Mancher denkt hier an den Ostblock und die Plattenbauweise. Doch Standarisierung geht auch anspruchsvoller und auf einem hohen ästhetischen Niveau.
Ein Beispiel hierfür ist der Möbelhersteller Vitra, der genau das macht, um was es auch bei “Bauhaus reinvented” geht: Trotz einer grossen Produktvielfalt zeichnet sich Vitra durch ein kohärentes Markenversprechen und eine klare Positionierung aus. Dieser Ansatz kann durchaus als Blaupause für innovative Immobilien-Entwickler dienen, die sich in Zukunft – ähnlich wie Vitra heute– als Kuratoren und Verleger für hochwertige Hausprodukte positionieren. Denn so, wie man den Eames-Chair skalieren kann, so kann man auch das Eames-House skalieren. Käufer hierfür gäbe es genügend, garantiert.