Dutti – der Social-Branding-Pionier der Schweiz

Das alles kannte er nicht – das Internet, das Web 2.0, die sozialen Netzwerke. Und doch hat er einen Satz geprägt, der bei jedem Community Manager über dem Laptop hängen sollte: "In der modernen Welt wird der Erfolg jenen gehören, die es verstehen, um ihr Unternehmen herum eine Ideenwelt aufzubauen". Er – das ist Gottlieb Duttweiler, der erste Social-Branding-Pionier der Schweiz.

 
 
 
 

Dutti – der grosse Identitätsstifter von damals.

Harmlose Fragen stellen, kleine Wettbewerbe lancieren, Rabatte ankündigen – das machen alle Marken und die Migros macht das auch. Doch die Migros hat früher noch etwas anderes gemacht. Genauer: Dutti hat noch etwas anderes gemacht. Er hat eine Partei gegründet, das Kulturprozent ins Leben gerufen, die Klubschulen aufgebaut, einen Park eröffnet und natürlich Lebensmittelgeschäfte auf die Beine gestellt. Allerdings waren seine Retail Shops mehr als nur Retail Shops. Genauso wie jede Marke mehr ist, als nur eine Aufreihung von verschiedenen Produkten. Für dieses "Mehr“ hat Duttweiler einen Begriff kreiert: "soziales Kapital“.

Aufbau von Beziehungskapital – das ist Marketing 2.0.

Dieses soziale Kapital ist die Währung, die sich heute noch für die Migros auszahlt. Denn die vielen Fans, welche die Migros auf ihren Social-Media-Seiten für sich gewinnen konnte, verdankt sie kaum ihrem Eistee, ihrer Heidi-Milch, ihren TV-Spots oder ihrer M-Budget-Linie. Sondern Duttweiler und seiner Ideenwelt.

Vom Produkt zur Beziehung.

Duttweiler und die Migros hatten also eine sinnstiftende Brand Story, die beides bot: Anknüpfungs- und Reibungspunkte. So erfüllt das Unternehmen eigentlich alle Voraussetzungen, damit der Shift "vom Produkt zur Beziehung" (Trendbüro) gelingen kann. Allerdings: Diese involvierenden Bezugspunkte hatte die Migros mal – hatte und nicht hat. So muss man leider konstatieren: Dem orangen Riesen fällt es immer schwerer, seine Heritage in eine zeitgemässe Brand Experience zu überführen. Und die Orientierung, welche die Migros noch bieten kann, verdankt sie mehr der Vergangenheit als dem Markenauftritt der letzten Jahre.

Tante Emma – die klein geschredderte Ideenwelt von heute.

Die Migros heute – das ist eine Marke, die mit vielen singulären Massnahmen die Bevölkerung bespielt: Mit Sammelaktionen, Bon-Promotionen, Werbekitsch und atavistischen Alkohol-Diskussionen. Das Interessante dabei: Diese teils disparaten Massnahmen könnten dennoch einen kurzfristigen Benefit für das Unternehmen haben. Weil die Migros wie die viel zitierte Tante Emma wirkt. Eine Tante Emma, die sich gerade durch das Nicht-Stringente und das Heterogene ihres Marketings auszeichnet. Denn so wie das Lädeli um die Ecke kommt auch die Organisation vom Limmatplatz daher: Mit einem bunten Massnahmenmix, der manchmal süss, manchmal ärgerlich, teils willkürlich, oft unterhaltend ist und gesamthaft etwas sehr Menschliches hat. In einem Wort: Die Migros wirkt irgendwie authentisch.

Das Problem: dieses "Irgendwie“. Denn dass eine hohe Brand-Authenticity – laut Gilmore/Pine der „kommunikative Imperativ“ im digitalen Zeitalter – eine relevante Unique-Identity-Proposition (UIP) sein könnte, ist naheliegend. Allerdings müsste sie dann zu einem kohärenten Markenkonzept gemacht und von Duttis Erben viel konsequenter umgesetzt werden. Das alles geschieht kaum und so besteht die Gefahr, dass die Migros immer mehr in die tote Mitte abgleitet. So scheint es, dass die Migros noch immer von dem komfortablen Erbe ihres Gründervaters zehrt. Doch Erbschaften sind endlich. Und wer vergangene Reichtümer nicht aktiv bewirtschaftet, verliert sie. Genau dies ist die Herausforderung, vor der die Migros in den nächsten Jahren steht – egal, ob mit oder ohne Dosenbier in ihren Regalen.

Noch zwei Anmerkungen:

  • Bis 2018 stand solch ein Verkaufswagen im Eingangsbereich am Hauptsitz der Migros am Limmatplatz. Dann wurde der Wagen entsorgt. Doch was genau wurde hier entsorgt: Nur ein rollender Einkaufswagen? Oder vielleicht ein Erbe, das den nachgeborenen Managern irgendwie obsolet erscheint?

  • Apropos Erbe: Wer meint, diesen Artikel in ähnlicher Form schon mal gelesen zu haben, hat recht. Aber das ist schon 10’000-Jahre her, weshalb ich mir hier ein kleines Content-Recycling erlaubt habe.

 
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