Homo Digitalis und die künstliche Intelligenz

 

Es ist schon faszinierend: Die Konstruktion von Wirklichkeit kann man nun getrost den Maschinen überlassen. Also der künstlichen Intelligenz. Das glauben zumindest viele und manche Marketingmenschen hoffen sogar darauf. Allerdings: So einfach, wie es scheint, ist es nicht. Darum hier ein kleines Potpourri auf Fragen, Gedanken und künstlich generierten Witzen.

 
 

Home Digitalis, entworfen von Dall-E 2

 
 

Aperçu 1:

Journalistinnen und Texter haben neue Kollegen bekommen: Die heissen Jasper, Neuroflash oder ChatGPT und verfügen über künstliche Intelligenz. Diese Kollegen sind also Maschinen, die das können, was bisher nur Menschen konnten – schreiben nämlich. Oder tippen. Aber das ist nicht dasselbe.

 

Aperçu 2:

Wer tippt, der arbeitet am Buchstaben. Wer schreibt, der arbeitet am Gedanken.

 

Aperçu 3:

Allerdings: Diese Gedankenarbeit braucht es bei vielen Texten nicht, weil diese Texte ausformulierte Tabellen sind – Wetterberichte, Polizeimeldungen oder der Beschrieb von Herrenlammfelljacken zum Beispiel. Es sind also gedankenlose Texte, welche die KI textet.

 

Aperçu 4:

Hierzu schreibt meine Lieblings-KI: «KI kann dabei helfen, Texte zu generieren, die grammatikalisch korrekt und gut strukturiert sind. Es kann jedoch schwierig sein, KI zu verwenden, um Texte zu generieren, die auch originell und interessant sind. Dies liegt daran, dass KI-Systeme Muster in Daten erkennen und diese Muster verwenden, um neue Texte zu generieren.»

 

Aperçu 5:

Und der führende KI-Texter der Schweiz, Arne Völker, schreibt hierzu: «Letztlich sind Large Language Models stochastische Papageien – trainiert aufs Nachäffen von Sprachmustern, die andere Menschen vorher geschrieben haben. Same same, but different – das ist das Ziel.»

 

Aperçu 6:

Same same, but different: Das lässt an Sisyphos denken. Und an Nietzsche und die ewige Wiederkehr des Gleichen. Wobei ich mich frage: Wenn künstliche Intelligenz vor allem Déjà-vus und Déjà-lus produziert – warum heisst sie dann nicht künstliche Dummheit?

 

Aperçu 7: Die künstliche Intelligenz ist eine dumme Intelligenz

Die Antwort: Weil künstliche Intelligenz immer dann intelligent ist, wenn es eine dumme Intelligenz braucht. Diese dumme Intelligenz braucht es, wenn es eine repetierende statt einer kreierenden Intelligenz braucht. Sie wird also oft gebraucht, diese dumme Intelligenz.

 

Buchtipps für die Perlentaucher unter den Lesern:

 

Aperçu 9:

Was die KI jedoch auch zeigt: Unsere Gedanken und Gefühle sind ziemlich stereotypisch und mechanisch. Sonst gäbe es kein Tinder und kein Parship. Die narzisstische Kränkung lautet also: Unser individuelles Denken ist oftmals ein sublimiertes Wiederholen von vorgestanzten Clustern und selbst die romantische Liebe unterliegt heute einem schnöden Algorithmus. Lesetipp hierzu: «Romeo und der Joystick» (leider noch nicht im Buchhandel erhältlich).

 

Aperçu 10:

Kleines Gedankenspiel: Wenn die künstliche Intelligenz wirklich so intelligent ist – dann sollte sie umgehend das Wahlrecht erhalten. Und sie sollte als achte Bundesrätin in den Schweizer Bundesrat einziehen. Der Bundesrats-KI würde ich übrigens Schwarznasenschafe als Bildschirmschoner empfehlen – damit’s es bizeli mönschelet uf äm Compi.

 

Aperçu 11:

Kommt bald der Zeitpunkt, an dem es heisst: «Maschine befiehl, wir folgen»?

 

Aperçu 12:

«Maschine befiehl, wir folgen» – für Mechaniker des Sozialen mag das wie eine Verheissung klingen. Weil Maschinen dabei helfen, Menschen zu vermessen, zu regulieren und zu kontrollieren. Mechaniker des Sozialen sind übrigens nicht nur böse Diktatoren, sondern auch Sozialbehörden, Schulämter und Stadtplaner.

 

Aperçu 13:

Die Gefahr des Digitalen ist also nicht die Maschine, sondern das maschinelle Denken. Zum einen, weil dieses Denken immer auch die Machtfrage tangiert: Der Planende versus dem Verplanten, der Steuernde versus dem Gesteuerten, das Subjekt versus das Objekt. Zum anderen, weil maschinelles Denken auf einem maschinellen Menschenbild basiert.

 

Aperçu 14:

Hinter der Diskussion um KI verbirgt sich also ein tiefer gehender Diskurs – z. B. um das Apollinische und das Dionysische. Das ist wieder mal Nietzsche und eine verdammt alte Diskussion. Doch sie berührt den eigentlichen Kern der Debatte, da sie unser Selbstverständnis tangiert.

 

Aperçu 15:
«Das Digitale ist der Tod des Dionysischen.» (unbekanntes Zitat von F. N.)

 

Ein dionysischer Witz – erdacht von meiner KI:

«Warum hat der Roboter eine Depression?»
«Weil seine Mutter eine Waschmaschine und sein Vater ein Trockner war!»

 

Aperçu 16:

Die ewige Wiederkehr der gleichen Muster zeigt sich auch immer öfter im Alltag: bei den ewig gleichen Blogartikeln, Insta-Fotos und alten Männern mit weissen Turnschuhen.

 

Zwischenfazit:

Individualität serienmässig – das ist das grosse Versprechen des Binären (und die Hoffnung des Marketings).

 

Aperçu 17:

Das Lustige dabei: Es boomt beides – die Welt des Binären und die Welt des Non-Binären. Es boomt also eine Welt, welche auf die Repetition von Mustern angelegt ist, während sich gleichzeitig eine fluide Gegenwelt etabliert, die sich diesen starren Mustern verweigert.

 

Aperçu 18:

Wenn Menschen sich heute weigern, X und Y als identitätsdefinierend anzuerkennen, warum sollen sie sich dann von 0 und 1 dominieren lassen? Und sind wir der Biologie entkommen, nur um uns dieser Tage der Elektronik zu unterwerfen?

 

Aperçu 19:

Die Intelligenz ist das wesentliche Identitätsmerkmal des Menschen, ergo:
Die künstliche Intelligenz führt zu künstlichen Identitäten.

 

Aperçu 20:

Künstliche Identitäten, nachplappernde Papageien und die Wiederkehr der gleichen Turnschuhe? Hier hätte Nietzsche ein klares Antidot empfohlen: seinen Übermenschen.

 

Aperçu 21:

Das Interessante dabei: An Übermenschen glaubt kaum keiner mehr. Aber an Übermaschinen. Von diesen träumt der Homo digitalis. Weil er mit diesen Übermaschinen und Metaversen genau die Allmachtsfantasien verwirklichen kann, von denen schon Nietzsches Übermenschen träumten.

 

Fazit:

Das, was hier steht, sind Thesen. Aber Thesen sind nicht die Wahrheit, zum Glück. Denn so dystopisch, wie das hier klingt, wird’s bestimmt nicht. Denn nicht nur die künstliche Intelligenz wird immer wichtiger , sondern auch das, was uns von dieser deutlich unterscheidet: Kreativität. Kritisches Denken. Kollaboration. Kommunikation. Das ist eine gute Nachricht, die meine Lieblings-KI wie folgt kommentiert:

«Was sagt ein KI-System, wenn es nicht mehr weiterweiss?»

«Ich denke, ich brauche einen Mensch.»

 
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