Wie die Kirche zu einer echten Marke wird
Bald ist Weihnachten und es wird wieder fleissig gesungen und geschenkt. Da möchte ich nicht nachstehen, weshalb auch ich ein kleines Päckchen geschnürt habe. Das enthält eine Idee für die Kirche. Für die Zukunft der Kirche, um genau zu sein.
Keine Frage – wenns eine Institution gibt, die Kreativität und Erneuerung dringend nötig hätte, dann ist es die Kirche. Denn diese zweitausendjährige Organisation entleert sich gerade rapide. Ihre Räume entleeren sich. Und ihr Sinn entleert sich. So erscheint Kirche immer mehr wie ein grosses Gefäss ohne Inhalt – ohne Markenessenz, ohne Nutzenversprechen, ohne Why. An dieser Frage sollten die Damen und Herren in schwarz-weiss mal schleunigst knabbern und nicht nur an ihren Oblaten.
Allerdings befürchte ich, dass der Aufruf zur (wortwörtlichen) Neubesinnung bei den Kirchen auf taube Ohren stossen wird. Dazu sind sie zu strukturkonservativ. Und das eigene Why zu definieren und sich neue Möglichkeitsräume zu eröffnen – das ist eine Aufgabe, die selbstreferenzielle Organisationen wie der Teufel das Weihwasser fürchten. Warum das so ist, habe ich im Blogbeitrag über Michelangelo beschrieben. Und ich habe damals versprochen, dass ich sporadisch gute Ideen zum Besten geben – gratis und «to whom it may concern». Darum, liebe Pfarrerinnen und Pastoren, hier mal ein Konzept, das für frischen Wind in euren leeren Hallen sorgen würde: mit einem konkreten «What», hinter dem sich aber ein grosses «Why» versteckt.
Für eine neue Dorfkirche 2.0
Der Titel des Konzepts: Dorfkirche 2.0. Und die Schnellanalyse, auf welcher das Konzept beruht: Ein wesentlicher Erfolgsfaktor von Kirche war ihre Funktion als zentraler Brennpunkt von lokalen Gemeinschaften. So wurde in Dorfkirchen alles verhandelt, was das Leben ausmacht – von alltäglichen Banalitäten bis hin zu den grossen gesellschaftlichen Fragen. Und aus diesem vergangenen IstWar-Zustand gilt es nun einen neuen Soll-Zustand zu machen. Mit der Dorfkirche 2.0.
Die Dorfkirche 2.0: Das ist eine Kirche, die sich wieder in lokale Kontexte integriert und nachbarschaftliche Gespräche kuratiert. Und die genau das macht, was schon Luther gemacht hat: dem Volk aufs Maul schauen. Wobei das Maul jetzt Tastatur heisst und der Treffpunkt des gemeinen Volks heute der digitale Raum ist.
Über Gott und die Welt sprechen
Mehr Computer, weniger Kanzel, das ist die erste Devise. Und die zweite Devise: Die heisst «über Gott und die Welt sprechen» – ganz konkret und interaktiv. Wie diese lokalen Gespräche über «Gott und die Welt» aussehen würden?
Von Montag bis Samstag so: „Wo ist Nachbars Katze?“, „Wer kann seine Bohrmaschine verleihen?“ und „Wann ist das nächste Quartierfest?“
Und am Sonntag so: „Wer hilft Geflüchteten beim Deutschlernen?“, „Wer singt den Tenor in unserem Chor?“ und „Kann man die Bergpredigt eigentlich auch posten?“
„Über Gott und die Welt sprechen“ – das wäre nichts weiter als ein digitales Schwarzes Brett, mit dem einzigen Unterschied, dass hier auch die Boten Gottes posten dürfen. So profan kann man das natürlich sehen. Aber diese Sichtweise wäre ein bisschen kurzsichtig. Denn was mit diesem Konzept neu etabliert wird, ist eine starke soziale Vernetzung. Dabei fragt sich: War Kirche jemals etwas anderes als ein soziales Netzwerk? Und muss sie das nicht heute wieder sein: ein vitales Nachbarschafts-Ökosystem? Falls ja, dann stellen sich zwei Fragen:
Die erste Frage: Was ist für lokale Gemeinschaften relevant? Unsere Antwort: Unter der Woche Local Gossip und Local Sharing. Und am Sonntag ethisch-sozialer Zuckerguss.
Die zweite Frage: Wie können wir den lokalen Austausch konkret initiieren? Die Antwort: mit einem digitalen Kirchturm – mit einem lokalen Fixpunkt also, der als virtueller Dorfplatz für nachbarschaftliche Interaktionen dient.
Der eigentliche Clou ist dabei die Generierung von Hyperlokalität und Nähe: einer dichten lokalen Nähe, weil nur Posts aus einem Perimeter von wenigen hundert Metern sichtbar sind – nur aus meiner Nachbarschaft und aus meiner Hood. Und von einer dichten emotionalen und sozialen Nähe, die dank der lokalen Nähe zwangsläufig entsteht.
Sharing is Caring
Diese Plattform – nennen wir sie mal „nexxter“ – ist somit nicht nur eine Sharing-, sondern eine Caring-Plattform, die eine neue Form des Communio-Building ermöglicht. Mehr noch: Nexxter macht Nexxten-Liebe möglich und selbst auf die Gefahr hin, dass es etwas pathetisch klingt: Wenn Gott weder eine fassbare Identität noch eine feste Adresse hat, was ist er dann? Mein Vorschlag als engagierter Hobbytheologe: Gott ist keine Entität, sondern Interaktion. Eine Interaktion, bei der das Göttliche dann entsteht, wenn Menschen sich menschlich begegnen: Wenn man die alte Dame beim Einkaufen unterstützt, wenn man dem Nachbarn die Bohrmaschine leiht, wenn Gross-Luca Klein-Lisa bei den Hausaufgaben hilft und wenn Hinz mit Kunz zusammen Fussball schauen. Das alles ist Gott und die Bibel müsste eigentlich so anfangen: Am Anfang war die Tat!
Was Gott ist, habe ich nun erklärt (und das in nur wenigen Zeilen). Doch was unerklärlich ist: das Verhalten der Kirche. Denn über unser Konzept konnten Christoph Widmer und ich mit bekannten Politikerinnen und sehr renommierten Managern von sehr renommierten Unternehmen sprechen. Nur eins haben wir nicht geschafft: einen Termin bei den Reformierten oder Katholen zu bekommen. Das ist zwar ziemlich komisch. Das ist aber leider nicht besonders erstaunlich. Denn wenn selbstbezügliche Systeme sich dadurch stabilisieren, indem sie sich von ihrer Umwelt abschotten und operational geschlossen agieren – dann ist das Verhalten der Kirchen nur folgerichtig. Das Doofe nur: «Ihr Kinderlein kommet» muss Herr Pastor bald allein singen und die stille Nacht wird unter Umständen gar arg still werden. Aber gut – noch ist es nicht so weit und darum: