IKEA, Pfister und die tote Mitte.

2011 hatte ich einen Assistenten: Der hiess Christoph. Und ich hatte einen Kunden: Der hiess IKEA. Christoph und IKEA gibt es noch und beide sind sehr lebendig – etwas, das man von Pfister leider nicht mehr behaupten kann.

Meine Zunft, die Marketeers, versetzen mich immer wieder in Staunen. Denn Markenführung ist wahrlich keine Astrophysik und keine Rocket-Science. Doch irgendwas scheint verdammt kompliziert zu sein mit dieser ominösen Markenführung. Meine Vermutung: Es ist so kompliziert, weil es eigentlich so einfach ist. 

«Was würde der Welt fehlen, wenn es dich nicht geben würde?»

Markenführung ist so einfach, weil jede Marke letztendlich nur eine Frage beantworten muss: «Was würde der Welt fehlen, wenn es dich nicht geben würde?» Gut, diese Verdichtung kann man nun als leicht unterkomplex bezeichnen und ich laufe gerade Gefahr, mein eigenes Geschäftsmodell zu torpedieren. Dennoch: Egal, ob man von Nutzenversprechen, Markenkern oder USP spricht – immer geht es um Identität und damit um obige Frage. Immer! Und wenn diese Identität fehlt, dann wird’s manchmal recht lustig. 

«Pfister sind die, die immer neben IKEA sind»

Auch so macht man seine Identität erlebbar - mit Fleischbällchen

Lustig war zum Beispiel das Gespräch, das Christoph Widmer und ich vor unserem Meeting bei IKEA führten. Bevor wir zum gelbblauen Riesen fuhren und – anschliessend konnten wir die Content-Strategie für das Unternehmen erarbeiten – habe ich Christoph gefragt, was ihm zu IKEA einfällt. Seine Antwort nach wenigen Sekunden: «Hot Dogs, Fleischbällchen (Köttbullar), Poäng und Klippan, Inbusschlüssel… und die duzen ihre Kunden doch, oder?» Und dann habe ihn gefragt, was ihm zu Pfister einfällt. Hier dauerte es ein bisschen länger und bis dann folgende Antwort kam: «Pfister? Das sind doch die, die immer neben IKEA sind!» 

 «Die, die immer neben IKEA sind» ­– eine lustige und tragische Antwort zugleich. Denn besser kann man eine Positionierung in der toten Mitte nicht beschreiben und wohin diese Positionierung irgendwo im Nirgendwo führt – das Schicksal von Pfister zeigt es deutlich. 


Die tote Mitte und Mee-Too-Marketing

Was mich dabei erstaunt: Das «Stuck in the Middle»-Problem wird schon seit den 70er Jahren diskutiert und die U-Kurve von Michael E. Porter sollte Allgemeingut in der Marketingbranche sein. Ist sie aber anscheinend nicht, denn die Aussage des Managementberaters Hermann Scherrer trifft besonders auf hiesige Unternehmen verstärkt zu: «Die zentrale Ursache für die Positionierung in der toten Mitte ist die vorherrschende Gleichmacherei: Man schaut, wie’s die anderen machen, und orientiert sich daran. Marktbeobachtungen und Benchmarking verleiten zur Nachahmung, zur Kopie. Doch eine Kopie wird im Wettbewerb um Kunden niemals ganz oben auf dem Siegertreppchen stehen.»  Oder, in den Worten von Michael E. Porter: «Der häufigste strategische Fehler ist die Imitation.» (Diesen Satz bitte ausdrucken und prominent aufhängen. Danke!)

Der Absatz durchschnittlicher Waren hat sich in den letzten 20 Jahren um die Hälfte halbiert

Jetzt ist es nicht so, dass Pfister alles falsch gemacht hat, und die Core-Satellite-Strategie des Unternehmens – siehe Atelier Pfister – hat durchaus zu einem Marken-Refreshment geführt. Trotzdem: Eine junge Tochter reicht oft nicht aus, um die alte Mutter (oder den alten Vater) attraktiver zu machen. Und ein Imagetransfer ohne Identitätstransfer – das ist so, als würde man mit Lippenstift eine Therapie ersetzen wollen. 

Die Halbierung des Durchschnitts

Doch genug der schönen Analogien und zum Schluss noch ein paar Fakten, die zeigen, warum eine klare Positionierung heute wichtiger denn je ist:  

  • Sinkender Absatz: Im Gegensatz zu Produkten im Premium- oder Niedrigpreissegment, hat sich der Absatz durchschnittlicher Waren zu durchschnittlichen Preisen in den letzten 20 Jahren um die Hälfte halbiert – Zahlen, die fast schon alles sagen. 

  • Steigende Brand Parity: Die Austauschbarkeit von Marken in der Wahrnehmung der Konsumenten steigt – und zwar deutlich. Ein Umstand, der eine schallende Ohrfeige für das Mee-Too-Marketing ist. 

  • Grosse Positionierungsenge:  Allein in Deutschland kommen jedes Jahr 60.000 Marken neu auf den Markt. Sich in diesem Kampf um Aufmerksamkeit Relevanz zu verschaffen, ist zwar nicht einfach – aber notwendig und machbar. 

Buchtipp!

Zu guter Letzt noch dies: Ich bin überzeugt, dass Marketeers ab und an über den Tellerrand ihrer Branche hinausschauen sollten. Darum möchte ich Ihnen noch wärmstens ein Buch ans Herz legen, das sich mit der Ausdifferenzierung unserer Gesellschaft befasst und die Blaupause liefert für das, was ich oben beschrieben habe. Dieses Buch heisst «Die Gesellschaft der Singularitäten» und ist von Andreas Reckwitz. Meine Empfehlung: Kaufen! 

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