Ueli Maurer - das neue Marketing-Talent
Ich habe ein neues Marketingtalent entdeckt. «Es» ist Ueli Maurer. Der ist richtig gut im Community-Marketing und weiss, worauf es dabei ankommt: nämlich auf die Bewirtschaftung von kollektiven Identitäten. Und auf das geschickte Spiel mit In- und Outgroups. Als Produktmanager darf man diesem Spiel durchaus frönen. Aber nicht als Repräsentant der offiziellen Schweiz.
Bundesrat Ueli Maurer lehnt non-binäre Menschen als mögliche Nachfolger*in ab. Das hat er bei seiner Pressekonferenz deutlich kundgetan – einfach mal so und aus einer Laune heraus. So schien es zumindest. Aber so war es nicht. Denn Bundesrat Maurer hat am 30. September bewusst getan, was Marketingmanager und Populisten öfters tun: Er hat seine eigene Zielgruppe eingrenzt, indem er andere Menschen ausgegrenzt.
Divide et impera
Was Marketingtreibende mit dieser Bewirtschaftung von kollektiven Identitäten erreichen möchten, ist klar: Sie möchten die Anschlussfähigkeit ihrer Angebote erhöhen, um so mehr Geld zu verdienen. Um Anschlussfähigkeit gehts auch in der Politik, wobei der Lohn hier nicht der schnöde Mammon ist, sondern gesellschaftliche Macht. Der grundlegende Mechanismus ist also vergleichbar – über die Schaffung von Anknüpfungs- und Reibungspunkten soll ein höheres Involvement erzielt werden.
Allerdings ist die Schweiz kein Schokoriegel. Und bei politischer Macht geht es nicht um austauschbare Commodities, sondern um fundamentale Rechte. Darum ist dieses polemische Spiel auch so anstössig – weil es um Teilhabe und Zugehörigkeit geht, welche den einen zu- und anderen abgesprochen wird. Die Devise lautet dabei «Divide et impera», was im Populistendeutsch so übersetzt werden kann: «Teile aus und herrsche.» Anders im Marketingdeutsch. Hier würde die Übersetzung «verteile und verführe» heissen. Das klingt nicht nur viel sympathischer, das ist auch viel moralischer.
Lügen, die verbinden
Das Interessante dabei: Maurer und Marken versuchen beide, kollektive Identitäten zu bewirtschaften. Allerdings gibt es einen grossen Unterschied: Während Marken wissen, dass ihre Identität künstlich generiert ist, suggerieren manche Politiker, soziale Identitäten seien gottgegeben und irgendwie natürlich. Für die einen ist Identität also wie Bauxit – wie ein Rohstoff, den man aus der heimischen Scholle bergen könne. Und für die anderen? Die interpretieren Identität eher als weiche Knete – ständig formbar und vielfältig gestaltbar. Denn kollektive Identitäten sind vor allem eins: Lügen, die verbinden.
«Lüge» – das klingt vielleicht etwas böse. Doch dieser Begriff hat einen klaren Vorteil. Er unterstreicht, dass es keine wahre Identität gibt: Keinen wahren Mann, keine wahre Frau, keine wahren Transmenschen; keine wahre Schweizerin, keinen wahren Cowboy, keinen wahren Blogger. Weil kollektive Identitäten nie fix, sondern immer fluide sind. Wenn dem nicht so wäre, dann könnte man übrigens das definitive Ende der Geschichte einläuten und die Deutschen würden noch immer im Teutoburger Wald und Männer in zinnenbekränzten Burgen hocken. Tun sie aber nicht.
Auf ein Bier mit Ueli Maurer
Menschen (und Bundesratskandidierende) verändern sich ganz einfach, weil sie es können. Denn was den Menschen ausmacht, sind nicht irgendwelche X- und Y-Chromosomen. Sondern es ist die Tatsache, dass unsere Gene Gehirne hervorbringen, die es uns ermöglichen, Dinge zu machen, die nicht in unseren Genen liegen. Das ist grossartig! Und die Freiheit, mehr zu sein als eine Doppelhelix mit Aminosäuren, sollte man keinem Menschen absprechen. Aber es gibt noch etwas, das mich erstaunt – diesmal mehr im Bereich der gedanklichen Stringenz.
Nach Ueli kommt vielleicht Hans-Ueli, habe ich gehört. Der will auch Bundesrat werden und ist homosexuell. Hat Ueli darum ein Problem mit Hans-Ueli? Aber warum hat er dann eines mit non-binären Menschen? Vielleicht sollte ich das Ueli Maurer mal direkt fragen – am liebsten bei einem Bier und gemeinsam mit Kim de l’Horizon.
In diesem Zusammenhang sehr zum Empfehlen:
Das Buch „Identitäten. Die Fiktionen der Zugehörigkeit“ von Kwame Anthony Appiah, der eigentlich Co-Autor dieses Artikels ist.
Das Buch “Blutbuch” von Kim de l’Horizon, das vor wenigen Tagen mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde.
Der Artikel «Lieber John Unbekannt, lieber Ueli Maurer, ihr habt mich geschlagen» von Kim de l’Horizon aus der NZZ – ein absolutes sprachliches Meisterwerk und der Impulsgeber für diese paar Zeilen.